stre!fen-Funk | Interview mit BBB Johannes Deimling


–> BBB Johannes DeimlingJD
–> Sascha Röhricht – SR

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SR: Herzlich Willkommen beim stre!fen-Funk. Heute zu Gast ist BBB Johannes Deimling, der Gründer und Workshop-Leiter von PAS |  Performance Art Studies.

JD: Vielen Dank für die Einladung.

SR: Für diejenigen, die das noch nicht wissen. Was ist PAS überhaupt? Und was kann man sich genau darunter vorstellen?

JD: Ich muss ehrlich sagen, manchmal weiß ich auch nicht so genau, was es wirklich ist. Dabei sollte gerade ich es ja wissen! Man könnte es zunächst mit zwei Begriffen zusammenfassen: PAS  ist ein Kunst- und Bildungsprojekt für Performance Kunst, dass sich darauf spezialisiert hat Performance-Kunst-Prozesse in Gang zu setzen um zum Einen interessierten Menschen diese Kunstform nahe zu bringen. Zum Anderen ist es ein Forschungsfeld für diejenigen, die bereits Erfahrung mit Performance Kunst gemacht haben. PAS ist nicht so sehr an dem finalen Produkt – der Performance – interessiert ist, sondern am Performanceprozess. Natürlich präsentieren wir auch Performances am Ende des Prozesses, das ist folgerichtig. Aber die Fragestellung lautet: Wie kommt man zu einer Performance? Welche Wege muss man gehen, um zu einer Performance zu gelangen? Da gibt es ganz viele verschiedene Herangehensweisen und das hat viel mit Performance-Forschung zu tun. PAS ist also ein Kunst-Bildungs-Recherche-Projekt, das, Performance Workshops oder Studies, wie wir sie nennen, anbietet. 

SR: Könnte man auch einfach sagen, dass ihr Prozessbegleiter seid und ihr versucht einen Prozess zu starten – wo auch immer das dann hinführt?

JD: Der Begriff „Prozessbegleiter“ ist ein passender Begriff für unsere Arbeit. Es ist ja so: Wenn wir mit unserer künstlerischen Arbeit beginnen, haben wir zunächst keine Idee davon, was am Ende herauskommt. In einem Kunstprozess, der auf das Experimentieren aufgebaut ist, ist zu Beginn alles offen, alles möglich. Man hat vielleicht eine vage Vorstellung, aber mehr auch nicht. Wenn wir von Anfang an wüssten, wohin die Reise geht, dann wäre es sicherlich nicht mehr so spannend. Mit diesem Unwissen stürzen wir uns in den PAS Prozess rein. Für uns ist es sehr wichtig, dass dieser Prozess nicht von mir oder den Gastdozent:innen gelenkt oder beeinflusst wird. Was in diesem Prozess passiert, geht maßgeblich von den Teilnehmer:innen aus. Als – wie Du so schön gesagt hast – Prozessbegleiter:innen sind wir dort präsent, wo die Teilnehmenden sich gerade befinden. Dort unterstützen wir sie und schauen, wie man das Erarbeitete, Erfahrene, Gemachte weiter ausbauen, verfeinern, erweitern und in Verbindung zu setzen. 

SR: Und wie kann ich mir das ganz praktisch vorstellen, wenn ich das noch nie selbst erlebt oder gesehen habe? Wie läuft so eine Workshop-Woche ab?

JD: Du kommst an und hast vielleicht keine Ahnung von Performance. Dann gehst du mit offenem Geist durch diese Woche, hast mehrere Performances selbst oder mit der Gruppe gemacht und am Ende ein bisschen mehr Ahnung von Performance. In der Zwischenzeit hast jede Menge künstlerische Aufgaben gelöst, Experimente mit Deinem Körper, Raum, Material, Zeit, Sound unternommen, Dich mit den anderen Teilnehmenden ausgetauscht und über das was Du gemacht und gesehen hast reflektiert, Du hast viele Performances gesehen und – hoffentlich – jede Menge Spaß gehabt. So in etwa kann man sich das vorstellen. Eine lebendige Kunstwoche.
PAS ist ja von Beginn an beim Festival stre!fen dabei. Für uns ist das eine ganz wichtige und tolle Sache! Denn durch die Ausrichtung und die Örtlichkeit des Festivals können wir einen sehr besonderen Aspekt der Performance Kunst bearbeiten und anbieten: Die Site-Specific-Performance. Das ist eine Form der Performance Kunst, die sehr zugänglich ist. Hierbei geht es um die Verbindung von Ort/Raum und Performance (Körper/Handlung). Diese Verbindung, die wir als Einheit begreifen, ist der Ausgangspunkt der Recherche. Das bedeutet, die Teilnehmer:innen erkunden mit ihrem Körper – Der Körper ist das Zentrum einer jeden Performance – Orte zu erkunden und treten dadurch mit dem Ort, Raum, Platz, etc. in einen künstlerischen Dialog. Die Frage lautet hier: „Wie kann ich mit meinem Körper und dem Raum Bilder oder Situationen erstellen?“. Beobachtung ist eines der wichtigsten Werkzeuge in dieser Phase. Wenn der erste Schritt in diese Richtung gemacht und verinnerlicht ist, geht die Reise weiter, Schritt für Schritt. Aus kleinen Übungen werden mit der Zeit komplexe Recherchen, die dann in Performances münden. Das Ganze ist intensiv, und ich sage immer: „Keiner hat gesagt, dass es einfach ist, aber jeder kann es machen.“. Dass das dann auch so ist, ist die Arbeit, die wir seither in die Didaktik und Methodik unserer Kurse investiert haben. „Nicht einfach“ oder „Viel Arbeit“ heißt nicht, dass wir keinen Spaß haben. Im Gegenteil: Wir haben jede Menge Spaß!

SR: Ich sehe das oft bei euren Workshops. Da wird immer sehr viel gelacht und „Quatsch“ gemacht.

JD: Humor ist ein ganz wichtiges Werkzeug in unseren Kursen. Lachen öffnet Geist und Körper und wenn Offenheit da ist, ist das wertvoll für den Performance Kunst Prozess. Mit Humor wird ein sehr wichtiger Grundstein für die Performance Arbeit gelegt. Wenn man über sich selbst lachen kann, über andere lachen darf und über den Lehrer sehr gerne auch, dann ist dies in einem Prozess, der Einem viel abverlangt, ein wunderbares Ventil. 

SR: Du hast ja schon das Arbeiten im öffentlichen Raum angesprochen. Speziell bei unserem Festival gibt es die Situation der geteilten Doppelstadt, der deutsch-polnischen Stadt Görlitz-Zgorzelec. Nun habt ihr mit PAS über all die Jahre an verschiedenen internationalen Orten viel erlebt. Aus eurer Erfahrung heraus, was ist so spezifisch gerade hier an diesem Platz zu arbeiten?

JD: Zunächst einmal ist die ortsspezifische Performance-Kunst eine Form der Performance, die den Ort, die Örtlichkeit und das, was vor Ort vorgefunden wird oder dort stattgefunden hat, in den Schaffensprozess mit einbezieht. Die beiden Städte – geteilt durch den Fluss Neiße – bieten für diese Form der Performance Kunst einen idealen Forschungsraum. Es findet dort eine Transformation statt. Diese (Un)beweglichkeit an der Grenze und sich selbst an einer Grenze zu bewegen – also an der Grenze des Machbaren, des Vorstellbaren, des Denkbaren – ist für die Kunst ein ganz wichtiges Momentum. Für die Performance Forschung ein wahrer Spielplatz an Möglichkeiten.
Zum Zweiten ist dieses Gebilde der beiden Städte mit der realen Grenze und der physischen Grenze durch das Wasser auch eine Teilung von zwei Ländern, von zwei Kulturen, etc. Das bietet auch einen politischen Bezug. Jetzt möchte ich gar nicht so sehr das Politische an sich hervorheben, sondern meine eher die Weiterführung des Politschen durch Kunst.
Und Drittens, und das ist die Besonderheit von Görlitz und Zgorzelec, sind die zwei Städte sehr unterschiedlich. Das hat viel mit Schönheit, mit Verlassenheit, mit Leerstand, mit Neuentdeckung, mit Neuformulierung und mit Brückenbau als Metapher zu tun. Dies bietet ein sehr stabiles Gefüge für künstlerische Recherche und für Erkundungen. 

Die beiden Städte haben meines Erachtens Modellcharakter für das ortsspezifische Arbeiten. Kaum ein anderer Ort bietet diese Vielfalt. Zudem ist stre!fen – das Festival als auch der Verein –  sehr gut in Görlitz und Zgorzelec vernetzt und kann zusätzlich zu den bereits vorhandenen Angeboten weitere Räume öffnen, die man als Besucher:in so vielleicht nicht entdecken würde. Ich denke nur an das alte Hotel am Bahnhof oder an das Freisebad.

SR: Spielen also sowohl die inneren wie auch die äußeren Erkundungen eine große Rolle bei PAS?

JD: Das bedeutet ortsspezifische Arbeiten. Es ist ja nicht so, dass ich einfach an einen Ort gehe und dann dort einfach mal meine Performance mache. Das kann man schon so machen, aber ortsspezifisches Arbeiten heißt, gemeinsam mit dem Ort die Performance zu entwickeln. Es ist wie eine Co-Produktion. Der Ort generiert 50 Prozent der Performance und das eigene Herangehen die anderen 50 Prozent. Das mit den Prozentzahlen stimmt zwar überhaupt nicht. Das ist nur ein Beispiel, um klarzumachen, dass der Ort kein musealer „White Cube“ ist. 

Wichtig ist die Verbindung zwischen Örtlichkeit, dem gegebenen Raum und der Idee, die sich dadurch entwickelt, dass man vor Ort recherchiert, analysiert, schaut, betrachtet und dann zu Ergebnissen kommt, die dann gemeinsam mit dem Ort in eine Performance – quasi als Co-Performer – umgesetzt wird.

SR: Ihr seid seit vier Jahren Teil des Festivals, dieses Mal mit der 84. Ausgabe von PAS |  Performance Art Studies. Und ihr hattet dieses Jahr das spezifische Thema der „City Symphony“. Kannst du das Thema kurz erläutern?

JD: Der ortsspezifische Ansatz ist nur ein Bestandteil von Performance Kunst. Es gibt sehr viele andere Elemente, aus denen sich Performances generieren lassen. Das ist z.B. der Fokus auf das Material, die Handlung, die Zeit, ein Thema und viele andere mehr. Sound ist ein weiterer, möglicher Fokus im Performance Prozess. In „City Symphony“ haben wir versucht den Sound der Stadt aufzugreifen. Wie hört man der Stadt und städtischen Leben eigentlich zu? Was hören wir und was überhören wir? Diese und weitere Fragen wollten wir aufgreifen und in verschiedenen Experimenten testen.  Wir haben uns z.B. an Orte in der Stadt gesetzt und der Stadt einfach nur zugehört. Diese gewonnenen Erkenntnisse haben wir dann mit formal agierenden, reagierenden Körpern und Bewegungen verknüpft. Das ist gar nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. Sound ist ja nicht nur der rein akustische Sound, sondern es kann – metaphorisch gesprochen – ein visueller Sound sein. Wenn Handlung, Sound und Ort zusammenkommen, entsteht ein dichtes Geflecht innerhalb der Performance. Diese Dichte ist interessant und war bei „City Symphony“ ein wichtiger Bestandteil. 

SR: Das klingt alles sehr spannend. Jetzt haben wir die ganze Zeit immer gehört, dass du redest von „Wir“ redest. Aber wer steht denn eigentlich hinter PAS?

JD: Die Hauptverantwortlichen von PAS sind Monika Deimling und ich. Hinzu gekommen sind in den letzten Jahren viele internationale Kunstschaffende und Kunstforschende aus unterschiedlichen Bereichen, die mit uns die Faszination der Performance Kunst Bildung teilen. Zum Teil sind dies unsere Gastlehrer:innen, die wir zu einigen Studies einladen. Wir haben auch immer wieder Menschen zu Gast, die ihre Doktor-, Master- oder Examensarbeit über Performance Kunst relevante Themen schreiben. Auch haben wir regelmäßig Praktikant:innen bei uns, z. B. über das Erasmus+ Programm der EU. So hat sich über die Jahre hinweg ein großer internationaler Pool an Menschen gefunden, die selbst Performance unterrichten oder künstlerisch und performativ tätig sind. PAS hat sich seit Gründung stetig in ein internationales Netzwerk entwickelt.

SR: Dies ist also ein zusätzlicher Input und eine andere Sichtweise, um den Prozess zu vervielfältigen?

JD: In der Beziehung zwischen Performance Lernenden und Performance Lehrenden liegt die „Wahrheit“ im Prozess. Da es in der Kunst keinen linearen Prozess gibt, sondern vielmehr einen zirkularen und sich ständig verändernden Prozess, ist die Hinzunahme von Gastlehrer:innen eine wichtige Entscheidung. Es geht ja nicht um die eine Wahrheit, sondern immer um viele Wahrheiten, die herausgefunden werden wollen. Mehrere Meinungen, Sichtweisen und Inspirationen eröffnen das Feld der Performance Recherche weit. Die Teilnehmenden dürfen dann selbst entscheiden, was für sie und die eigene Recherche wichtig ist. 

SR: Könnte man dann fast sagen, dass die Teilnehmer:innen eigentlich der Kern oder das Herz von PAS sind?

JD: Der Kern von PAS ist der gemeinsame Kunstprozess. Das kollektive Entdecken, Herausfinden und das Aneignen. Ohne die Teilnehmenden macht der PAS Prozess keinen Sinn. 

SR: Noch eine kleine Abschlussfrage. Ihr habt 2008 mit PAS angefangen und nun sind wir im Jahr 2023. Dieses Jubiläum von 15 Jahren ist eine ungewöhnlich lange Zeit – gerade im schnelllebigen Kunstbereich. Ihr habt viel erlebt in dieser Zeit und auch sicherlich das ein oder andere verändert. Und wenn du zurückblickst, was war ein entscheidender Schnittpunkt bzw. ein wichtiger Vorgang oder eine wichtige Entscheidung, damit ihr jetzt PAS so macht, wie ihr es macht?

JD: Wenn ich mir das manchmal vor Augen führe – 15 Jahre PAS – dann frage ich mich: „Wie habe ich das nur alles gemacht?“. PAS macht wirklich sehr viel Spaß, aber auch genauso viel Arbeit. Die ersten Jahre habe ich das Projekt alleine gemacht. Als PAS dann gewachsen ist, konnte ich das nicht mehr und habe mir Leute gesucht, die diese Arbeit unterstützen. Von Beginn an war Marie-Luise Lange – langjährige Professorin an der TU Dresden – eine wichtige Person, die PAS mitgedacht und sehr gefördert hat. Mit ihrem Interesse an Performance Kunst Prozessen sind einige Meilensteine möglich gewesen. Als 2011 Monika Deimling zu PAS gekommen ist, hat sich vor allem die fotografische, dokumentarische Arbeit von PAS komplett geändert. Ich habe davor immer mit meiner Kamera geknipst und Dokumentationen gemacht. Da war vielleicht mal ein gutes Bild dabei. Aber mit Monika, einer professionellen Fotografin, die mit dem gewissen Blick von außen zuschaut, kommen ganz andere Fotodokumente hervor, die auch die Sichtbarkeit von PAS nachhaltig verändert haben. Das sind zwei wichtige Beispiele, aber PAS hat sich ständig durch die vielen internationalen Teilnehmenden, Gastlehrer:innen und durch die kollaborative Ausrichtung verändert. Mit jeder Studies hat sich auch innerhalb der Arbeit von PAS etwas verändert, denn jedes Mal wurden neue Erkenntnisse gewonnen, die dann in die neuen Projekte eingeflossen sind. Es ist vor allem die Flexibilität des PAS Konzeptes, das Veränderung sucht und will. Dadurch können wir viele Tendenzen oder neue Strömungen aufnehmen. Natürlich haben wir über die Jahre ein festes Gerüst aufgebaut, wie zum Beispiel die PAS-Studies, PAS-Youth oder PAS-Input. Das sind bestimmte Formate, die wir über die Jahre entwickelt haben. Aber auch diese Formate sind flexibel gehalten. So kann der Prozess sich immer danach richten, wo die Teilnehmenden sind und die aktuellen Geschehnisse in der Welt aufgreifen. Und diese Flexibilität wollen wir auch beibehalten. 

SR: Wenn man jetzt neugierig ist und Lust bekommen hat mitzumachen, ergibt sich die wichtigste Frage zum Abschluss: Wie kann ich denn mitmachen?

JD: Einfach kommen, wenn wir eine PAS-Studie machen – also z.B. in Görlitz-Zgorzelec oder sonst irgendwo auf der Welt. Alle wichtigen Infos zu den jeweiligen PAS Studies kann man auf unserer Webseite und auf der Instagram-Seite von PAS finden. Auch gut ist es, sich für den Newsletter anmelden.

SR: Sehr schön. Dann freue ich mich auf das nächste PAS Projekt. Danke für das Gespräch und hoffe, dass im nächsten Jahr viele neue spannende Leute zu dem Workshop dazustoßen.

JD: Das wünsche ich mir auch und freue mich, wenn wir uns beim nächsten stre!fen-Festival wiedersehen.

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DEZEMBER 2023